Jahrhundertflut am Amazonas: „Hier regt sich niemand besonders auf“► Seite 2

robertwolfgangschuster

Datum: 27. April 2009
Uhrzeit: 16:02 Uhr
Spezial: amazonasflut
Leserecho: 0 Kommentare
Autor: Dietmar Lang
Sprachkurs Portugiesisch (Brasilianisch)
Teil 2: Wie Alt-Bundeskanzler Helmut Schmidt auf einer Amazonas-Tour 5 Kilo abnahm

Das klingt nach Abenteuerurlaub!
Heute haben wir leider keinen Abenteuerurlaub mehr, wie ich ihn 1976 mit meinem Vater organisiert hatte. Es wird nun alles von Funai, Ibama, Amazontur und vor allem von der Marine streng geregelt und überwacht. Vor 30 Jahren konnte man noch eher von Abenteuer sprechen. Ich hätte da eine Anekdote von 1982, als Helmut Schmidt mit dem Kurt Glück 5kg in einer Woche abnahm.

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Ich war stellvertretender A&B im Hotel Tropical, als Helmut Schmidt gemeldet wurde Und da ich der einzige perfekt deutsch sprechende war, musste ich mich natürlich persönlich um ihn kümmern. Er hatte gerade die Wahlen verloren und war erleichtert und quietschvergnügt darüber, die Bürde losgeworden zu sein und hat ausgiebig Urlaub gemacht. Als Reiseleiter kam natürlich nur der Kurt Glück in Frage, der hat seit 1960 alle Wirtschaftsbonzen, Staatsoberhäupter und Superreiche geführt. Kein Wunder, er verlangte damals 300 US$ pro Tag.

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Robert Schuster kennt den Amazonas seit Jahrzehnten. (Foto: Privatarchiv)

Was man aber 1960 mit einem Dollar in Brasilien kaufen konnte kann man sich heute nicht mehr vorstellen. Er holte seine Gäste immer am Flughafen ab und brachte sie ins Hotel Tropical, wo sie bestens versorgt wurden, mit allem Luxus und Bequemlichkeit. Am nächsten Tag holte er sie um 5 Uhr früh ab und packte sie im ein 6 Meterkanu mit 60 PS Aussenborder und sprintete los. Er sass hinten, am Motor und die Gäste vorne und dazwischen lag die Verpflegung für eine Woche. Dosenschinken, Cream Cracker, Maniokmehl, Bohnen und Reis, grüne Kochbananen und von allem recht wenig, war ja teuer. Ansonsten verliess er sich darauf Fische zu fangen, Wild zu schiessen und Früchte gibt es ja genug im Wald.

Da verging also der erste Tag. Reden konnte man nicht, der Glück war im Wald recht kurz angebunden, der Motor war auch laut und das Wasser sprühte unablässig – man sass ja vorne. Um 5 Uhr nachmittags bei Sonnenuntergang steuerte er Festland an, spannte Stricke zwischen die Bäume und hängte die Hängematten auf, fertig war das Camp. Am ersten Tag gab es nur Dosenware, und so ein hungriger Deutscher langt schon zu, auch wenn es nicht besonders schmeckt. Aber damit war meistens am ersten Tag schon die halbe Verpflegung für eine Woche weg. Dem Glück war das wurscht, der hatte sein Maniokmehl und war so dürr, dass ihn kein Mosquito traf.

Die Touristen hatten eine unruhige Nacht weil keiner wusste wie man das Moskitonetz richtig festmacht. Am nächsten Tag machte er Feuer, kochte einen dünnen Kaffee, (jemand der 1945 in den Peruanischen Anden aus dem Nichts aufgetaucht ist und sich Kurt Glück nannte ist sparsam) und servierte Cream Cracker dazu. Dann ging er mal kurz fischen, damit er nicht erklären musste, warum er bei den Preisen kein Klopapier gekauft hatte. Na ja, dann ging es im Indianertrott durch den Wald, manchmal schoss er was, manchmal kamen Fische, und nach einer Woche hatte der Helmut Schmidt halt 5 kg weniger. Aber er war sich sicher, dass er als deutscher Kanzler schlechter dran gewesen war. Ich hab mich fast totgelacht, als er damals Einzelheiten seiner Reise erzählt hat.

Ich merke schon, in Amazonien kann man was erleben.
Eigentlich in ganz Brasilien, wenn man sich von den perversen Grosstädten Rio de Janeiro und São Paulo fernhält.

Sie haben ja auch Kontakt zu einigen Indiovölkern. Wie sehen diese die Veränderungen in der Natur?
Wenn man von den streng abgeschirmten wirklichen Indiostämmen absieht, an die darf ja niemand ran, und die portugiesisch sprechenden Indionachkommen fragt, die über das gesamte Amazonasbecken als Bewohner verteilt sind (ich beziehe da Peru, Venezuela, Bolivien usw. mit ein) sind alle an einer nachhaltigen Nutzung des Waldes interessiert. Sie verdienen ja mit Tourismus, Nüsse sammeln, Fischen und Handwerkskunst viel mehr und ohne körperliche Anstrengung wie wenn sie Bäume umlegen. Der Bundesstaat Amazonas ist zudem der Bundesstaat mit der geringsten Abholzung im Norden Brasiliens.

Herr Schuster, blicken wir nach Osten in Richtung Atlantik. In Pará heisst es ebenfalls nach massiven Regenfällen „Land unter“. Dort sind grosse Flächen gerodet, die Folge sind unter anderem stärkere Verdunstung, schlechterer Wasserablauf, Erosion. Die Überschwemmungen häufen sich.
Richtig, die Menschen zahlen dort mittlerweile die Zeche für die extensive Land- und Viehwirtschaft. Es fehlen zudem Aufforstungsprogramme, wie sie in Deutschland, Österreich oder Italien mit Erfolg durchgeführt wurden. Die Rodungen der letzten 300 Jahre haben mörderische Folgen für den Norden und Nordosten Brasilien, aber da kann noch was getan werden. Es muss ja nicht zur Sahara werden. Dort sollten internationale Hilfen angreifen, nicht in den Favelas, wo sowieso alles verloren ist, solange ganz Europa fleissig Drogen kauft. Wo kein Käufer da kein Handel!

Wollen wir hoffen, dass das Hochwasser nicht so extrem ausfällt wie befürchtet und sich die wirtschaftlichen Schäden in Grenzen halten. Kann man denn bei den Menschen ein Umdenken feststellen, gerade in Angesicht der drohenden Gefahr immer häufigerer Überflutungen?
Die Überschwemmungen und Trockenzeiten sind wie gesagt periodisch und wir kommen halt unweigerlich in eine klimatische Warmzeit. Dies ist so, seit die Erde besteht. Zur Zeit der Sintflut hat es noch keine Treibhausgase gegeben und trotzdem sind die Polkappen abgeschmolzen und die Meeresspiegel gestiegen. Wie gesagt, dieses Jahr gibt es möglicherweise für die Landwirtschaft Schäden im Amazonas. Dafür haben wir die nächsten Jahre mehr fruchtbares Land zum Anbau, der Amazonas bringt ja wie der Nil die Sedimente aus den Anden ins Tiefland. Die ganze Welt wird sich die nächsten 30 Jahre an mehr Wasser gewöhnen müssen.

Also eigentlich der natürliche Kreislauf, in diesem Jahr nur etwas extremer?
Wie gesagt, die Perioden der extremen Trockenheiten und des extremen Hochwassers unterliegen einem Zyklus von 10 1/2 Jahren, und das ist seit Jahrtausenden so. „Nix Neues im Westen“ würden die Indios sagen.

Herr Schuster, vielen Dank für das Gespräch direkt aus und auf dem Amazonas. Ich hoffe, sie können noch vielen Urlaubern die Schönheit des unberührten Regenwaldes in ihrer neuen Heimat zeigen. Ihnen und ihrer Familie alles Gute und dass sie von der erwarteten Jahrhundertflut weitgehend verschont bleiben.
Vielen Dank auch an Sie. Wir sind auch auf den Punkt fertig geworden. Ich muss nämlich jetzt ans Land, wir sind gerade angekommen. Und verbessern Sie ruhig meine Tippfehler.

Das Gespräch führte Dietmar Lang per Chat, Herr Schuster war per Handy mit dem Internet verbunden. Die im Interview angesprochenen Tippfehler haben wir nachträglich korrigiert.

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