Unser Amazonas-Experte Robert Schuster lebt seit fast 30 Jahren in Brasilien. Weite Teile des Amazonasgebietes hat er in dieser Zeit bereist, kennt die dort ansässigen Menschen und vor allem die Verhältnisse in der abgelegenen Region Südamerikas. Derzeit lebt er in unmittelbarer Nähe des mächtigen Amazonas in Manaus und bietet dort mit der Reiseagentur Iguana Turismo individuelle Touren in die „grüne Hölle“ mit seinem gigantischen Flüssen an. Besonders europäische und nordamerikanische Touristen vertrauen auf seine langjährige Erfahrung in diesem Bereich. Wir sprachen mit ihm über den Klimawandel, die immer weiter steigenden Wasserstände und die Gefahr einer Jahrhundertflut mit unvorhersehbaren Auswirkungen für den Norden Brasiliens.
Hallo Herr Schuster, fast täglich kann man in den brasilianischen Medien und natürlich auch im brasilien Magazin (mehr…) von neuen Überschwemmungen in Amazonien lesen. In verschiedenen Bundesstaaten wurde der Notstand ausgerufen, der Zivilschutz ist pausenlos im Einsatz und in vielen Städten und Gemeinden steht den Menschen das Wasser nicht nur sprichwörtlich bis zum Hals. Entlang des Amazonas wird teilweise schon ein Rekord-Hochwasser gemeldet und die Pegelstände sollen noch den ganzen Mai über weiter steigen. Was hat dies für Auswirkungen in der Region?
Die unmittelbaren Folgen eines extremen Hochwassers sind leicht zu überwinden, die lokale Bevölkerung hat damit Jahrhunderte lange Erfahrung und das Militär und sonstige staatliche Organisationen sind bestens dafür ausgerüstet. Überschwemmung und Trockenzeit sind für den Amazonas jedes Jahr verschieden. In periodischen Zyklen von 10 1/2 Jahren wechselt die Stärke der Überschwemmung bzw. der Trockenzeit. Das hat nichts mit Umweltverschmutzung, Abholzen, Staudämmen usw. zu tun. Ich möchte auch daran erinnern, dass vor genau 5 Jahren eine katastrophale Trockenheit das Amazonasbecken heimsuchte. Für dieses Jahr ist ein extremes Hochwasser angesagt, wie 1998, bzw. 1979.
Werden denn mittlerweile Vorbereitungen entlang der Ufer der Metropole getroffen, damit es zu keinerlei Überschwemmungen kommt oder warten die Menschen und Behörden ab, ob die Pegel tatsächlich auf Rekordniveau steigen?
In Manaus wird die Milch wird teuer, den Käse habe ich gestern zu einem Höchstpreis kaufen müssen. Das Fleisch wird billiger, weil die Bauern verkaufen müssen, sonst ertrinken die Rinder, Holzkohle wird billiger, weil viel Bruchholz entsteht. Ansonsten ist Manaus auf sieben Hügeln erbaut und schaut nur herunter. Ob der Wasserstand 2 m höher oder niedriger steht, hat für die Stadt selbst überhaupt keine Nachwirkung. Im Hafen werden vermutlich zwei Restaurants weggeschwemmt, die Besitzer wissen das und haben schon alles ausgeräumt. Es sind ja nur billige Bretterbuden, die am Ufer gebaut werden.
Der Rio Negro steigt nach letzten Meldungen derzeit rund 4 cm am Tag, die Höchstmarke von 1953 könnte spielend übertroffen werden. In Manaus sollen einige Viertel schon unter Wasser stehen, der Notstand könnte in den kommenden Tagen für die Millionenmetropole ausgerufen werden. Ist dieses Katastrophenszenario realistisch?
Nein, das ist Panikmache. Es gibt immer Leute die aus dem Hinterland kommen und keine Unterkunft haben, die bauen dann eine Bretterhütte am Flussrand. Diese werden halt evakuiert, möglicherweise wird dann auch der Notstand ausgerufen, damit die Regierung eine rechtliche Grundlage hat, finanzielle Hilfe freizumachen. Aber sonst regt sich hier niemand besonders auf.
Sie führen ja regelmässig Touren auf den riesigen Flüssen der Region durch. Hat das Hochwasser Auswirkungen auf den Tourismus?
Natürlich, wer will denn schon seinen Urlaub in einem Notatandsgebiet verbringen und sich in Gefahr begeben. Was aber viele Touristen nicht wissen: die meisten der Pousadas sind auf einen „flutuante“, einem Floss eingerichtet, das steigt und sinkt mit dem Wasserspiegel. Bei unseren Feldern werden wir nur die Gemüsepflanzung verlieren, die wird das Wasser mitnehmen. Dann müssen wir halt alles aus Manaus heranschaffen, das ist teuer.
Ökotourismus wird also auch bei Ihnen normalerweise gross geschrieben?
Richtig, Ökotourismus wird gross geschrieben, wir verkaufen ja die unberührten Gebiete des Regenwaldes. Niemand wird eine abgeholzte Viehweide ohne Fauna und Flora besichtigen wollen.
Also wer gebucht hat, kann trotzdem seine Reise antreten? Oder werden die Flüsse aufgrund des Hochwassers für den Schiffsverkehr gesperrt? Sie sind genau in diesem Augenblick auf einem Schiff irgendwo in der „grünen Hölle“. Wie würden sie die Situation für die kommende Zeit einschätzen?
Um Gottes Willen, wie sollte man denn die Flüsse sperren, die sind ja bei hohem Wasser sogar besser zu befahren. Für den Touristen ist das nur positiv. Die Landtiere müssen sich auf kleineren Räumen auf den höher liegenden Gebieten zusammendrängen und somit ist die Sichtung von eher schwer zu findenden Tieren viel wahrscheinlicher. In 2 Monaten wenn die Hochsaison hier anfängt, wird man möglicherweise sogar Panter und Ozelots zu sehen bekommen. Man kommt ja bei Hochwasser viel besser durch den Wald. Man paddelt halt in den Baumkronen. Ich bitte meine Tippfehler zu entschuldigen, aber das Boot fährt auf vollen Touren und schaukelt.