Wenn am Freitag Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva in der grössten Favela des Landes eintrifft, herrscht Waffenstillstand. Lula besucht den „Stadtteil“ Rocinha in Rio de Janeiro, um die Massnahmen zur Verbesserung der Infrastruktur einzuläuen. Finanziert wird dies über das Wachstumsprogramm PAC. In der immer wieder von Gewalt gebeutelten Siedlung tobt ein erbitterter Krieg zwischen Drogenmafia und Polizei. Die bestens mit Waffen ausgestatteten Anhänger der örtlichen Drogenmafia unter ihrem Anführer Antônio Francisco Bonfim werden sich im oberen Teil zurückziehen, während das Staatsoberhaupt im unteren Teil unter grossem Sicherheitsmassnahmen die feierliche Rede hält.
Lula wird am Freitag vor Rocinha auch noch die Viertel Alemão und Manguinhos besuchen. Alle Strecken innerhalb Rios wird der Präsident per Hubschrauber zurücklegen. Bereits am Mittwoch wurde mit umfangreichen Aufräumarbeiten begonnen, Müll wurde beseitigt, Strassen festlich geschmückt. Auch der Aufbau eines Bühne Erste-Hilfe-Zentrums ist mittlerweile in vollem Gange. Sicherheitskräfte sind inzwischen rund um die Uhr vor Ort, Motorradfahrer bekamen Instruktionen, am Freitag während der Veranstaltung nicht im Viertel herumzufahren.
Diplomatie ist derzeit in Rocinha angesagt. Rund 250.000 Menschen leben dort, viele in einfachsten Verhältnissen. Die Gemeinschaft der Anwohner hat mit der Drogenmafia und den Sicherheitskräften einen richtigen Pakt geschlossen, damit die Veranstaltung ohne Zwischenfälle abläuft. Jede der Konfliktparteien lässt die andere in Ruhe, die Territorien wurden abgesteckt, es herrscht ein trügerischer Frieden. Auch heute schon waren keine Drogendealer mehr zu sehen, selbst als die Polizei in die Favela einfuhr, wurden keine Böllerraketen wie gewöhnlich abgeschossen.
Am Samstag wird dann vermutlich wieder scharf geschossen. Dann werden auch wieder Unschuldige bei den Schiessereien zwischen Drogengangs und Polizei ums Leben kommen. Dann kann Rio de Janeiro wieder seinen Stoff beziehen. Wenn Lula seine Versprechungen von Urbanisierung und Verbesserung der Lebensqualität abgegeben hat – erst dann kehrt erneut der Alltag ein.