Brennpunkt Bolivien: Autonomie, neue Verfassung und Bombenanschlag

Datum: 15. Dezember 2007
Uhrzeit: 23:06 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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Bedenkliches wird derzeit in den brasilianischen Medien aus Bolivien berichtet. Und da ich bei einer ersten Sichtung der deutschsprachigen Medien kaum Informationen ausfindig machen konnte, hier ein paar Notizen aus dem kleinen Nachbarland Brasiliens, welches dann trotzdem immer noch doppelt so gross ist wie Frankreich.

Vier bolivianische Provinzen haben sich am gestrigen Samstag für Unabhängig erklärt. Es sind die Provinzen Santa Cruz, Beni, Pando und Tarija. Sie protestieren damit gegen die neue Verfassung, die der bolivianische Präsident Evo Morales gegen den Willen der Opposition mit einfacher Mehrheit als beschlossen deklariert hat. Pikant daran ist die Tatsache, dass die alte Verfassung eine 2/3 Mehrheit für solche Fälle vorgesehen hat. Derzeit ist daher absolut umstritten, ob das Votum im Parlament, welches alleinig Morales sozialistische Partei in einer Hau-Ruck-Aktion „durchgepeitscht“ hat, überhaupt gültig ist.

Morales bezichtigte inzwischen die Opposition des Putschversuches und setzte die Streitkräfte in Alarmbereitschaft. Bolivien sei ein demokratischer Staat in denen demokratische Grundregeln gelten würden, so der erste gewählte Präsident aus den Reihen der Ureinwohnern. Unter Beisein von 36 Vertretern der verschiedenen Ethnien an Indios in Bolivien stellte er feierlich die neue Verfassung vor und beschimpfte seine Gegner.

Durch die neue Verfassung soll nun der Präsidenten direkt wiedergewählt werden können, was eine Amtszeit von Morales bis ins Jahr 2018 möglich machen könnte. Zudem ist nach der neuen Konstitution Bolivien ein Staat „mehrerer Nationen“ (plurinacional) mit besonderen Rechten für die indigenen Völker. „Indigene Territorien und Gemeinschaften“ (Comunidades) sollen zukünftig anerkannt werden, zudem sollen diese nach eigenen Regeln und Gesetzen verwalten werden. Grosser Streitpunkt in der Verfassung ist zudem das private Eigentum in einem neu definierten „gemischten Wirtschaftssystem“. Dieses soll zukünftig nur noch anerkannt werden, „solange es eine soziale Funktion erfüllt und nicht dem Gemeinwohl schadet“.

Fast zeitgleich mit der Vorstellung der neuen Verfassung explodierte am Samstagabend in einem Justizgebäude in Santa Cruz eine Bombe, verletzt wurde niemand. Angeblich sind inzwischen Polizeieinheiten auf Geheiss Morales in die abtrünnigen Provinzen unterwegs. Am morgigen Sonntag wird Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio da Silva in La Paz erwartet. Bei dem Treffen mit Morales wird auch die chilenische Präsidentin Michele Bachelet zugegen sein.

In den vier abtrünnigen Provinzen im Tiefland im Süden des Landes liegen nach Venezuela die grössten Erdgasvorkommen Südamerikas. Hauptinvestor war dort bis letztes Jahr die brasilianische Petrobras, die jedoch durch die „Nationalisierung der Erdgasvorkommen“ und sprichwörtliche Enteignung und Besetzung der Förderanlagen mehr oder minder aus dem Land vertrieben wurde. Seitdem sind die Fördermengen signifikant zurückgegangen, neue Investoren halten sich aufgrund der rechtlich unsicheren Lage zurück. Nur ein bolivianisches Staatsunternehmen ist dort derzeit noch aktiv, allerdings fehlt zuhauf Kapital. Regionen im Westen Brasiliens klagen in Folge dessen inzwischen immer häufiger über fehlendes Gas für Industrie und Elektrizitätsgewinnung.

Nach Venezuela propagiert nun auch in Bolivien der jeweilige Staatspräsident vollmundig die Demokratie, nach aussen ist davon jedoch wenig zu spüren. Die Berichte aus den beiden Ländern sprechen eine deutliche Sprache. Zentralisierung, Verstaatlichung und Machtausbau – zwei Nachbarländer Brasiliens auf dem Weg in den Sozialismus des 21. Jahrhunderts. Beide Länder streben zudem die Vollmitgliedschaft in der Wirtschafts- und Handelsunion Mercosul an – ein gefährliches Spiel für die übrigen Partner.

Brasilien hat bereits Manöver im Mato Grosso do Sul im Grenzgebiet zu Paraguay und Bolivien abgehalten. Im Krisenfall wolle man rund 250.000 brasilianische Staatsbürger schnell aus der Krisenregion evakuieren, verlautete es inoffiziell aus dem Verteidigungsministerium in Brasília.

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