Brasilien wird momentan nicht nur von einer Wirtschaftskrise und Korruptionsskandalen geschüttelt. Auch eine politische Krise hält das Land in Atem. Mit einem Appell an Kongress, Wirtschaft und Zivilgesellschaft hat Vize-Präsident Michel Temer nun zu einer Zusammenarbeit zum Wohle des Landes aufgerufen. Ob eine Rede jedoch ausreicht, das gigantische Land wieder auf Wachstumskurs zu bringen, wird sich allerdings zeigen müssen.
Bisher vermeiden es offizielle Stellen, von einer Politkrise zu sprechen. Allerdings wird in Brasília ein offener Machtkampf ausgetragen. Während die Regierung Dilma Rousseffs dem Land ein Sparprogramm verordnet, hat die Abgeordnetenkammer unter der Präsidentschaft von Eduard Cunha etliche Maßnahmen verabschiedet, mit denen sich die Staatsausgaben erhöhen.
Geschwächt werden soll die Regierung Rousseffs zudem mit einer Abstimmung in der Abgeordnetenkammer über die Rechtsmäßigkeit der Haushaltskonten 2014. Rousseff wird dabei vorgeworfen, die Zahlen geschönt zu haben. Sollten die Bilanzen nicht anerkannt werden, könnte es ein Verfahren gegen Rousseff geben. Darüber hinaus kursieren nach wie vor zehn Anträge zu einem Amtsenthebungsverfahren der Präsidentin. Rousseff war erst im Oktober vergangenen Jahres mit nur einer knappen Mehrheit von etwas mehr als drei Prozent wiedergewählt worden und war am 01. Januar dieses Jahres für ihre zweite und letzte Amtszeit vereidigt worden.
Von den Industrieverbänden São Paulos und Rio de Janeiros wurde der Vorstoß Temers begrüßt. Sie haben ihre Unterstützung bereits zugesichert und damit die Macht des Vizepräsidenten deutlich gestärkt. Es sei an der Zeit, persönliche und parteiliche Ambitionen zur Seite zu stellen und im Interesse Brasiliens zu agieren. Gleichzeitig fordern sie von der Regierung Kosteneinsparungen, ein Ende von Steuererhöhungen und ein striktes Vorgehen bei der Bekämpfung der Korruption.
Von führenden Vertretern der Oppositionsparteien PSDB und DEM wurde indes verlautbart, dass sie ein gemeinsames Vorgehen lediglich nach Neuwahlen akzeptieren werden. Rousseff schließt derzeit einen vorzeitigen Urnengang jedoch kategorisch aus und beruft sich auf die in der Verfassung verankerte Demokratie und das Wahlergebnis im letzten Jahr. Dabei zeigen Umfragen, dass ihr Beliebtheitsgrad bereits einen historischen Tiefstand erreicht hat. Nach den jüngsten Ergebnissen halten 71 Prozent die Regierung Rousseffs für schlecht oder sehr schlecht und fordern einen Regierungswechsel.
In einer Demokratie gilt das Wahlergebnis und keine aktuellen Meinungsumfragen. Eine Wahlperiode dauert laut Verfassung vier Jahre und es bräuchte andere Gründe als ein Tiefstand auf der Beliebtheitsskala, um vorzeitig Neuwahlen anzusetzen. Was die Korruptionsvorwürfe angeht, da werfen die schlechten Wahlverlierer PSDB und DEM gerade Steine im Glashaus.