Brasilien bekommt erstmals in der Geschichte des Landes ein weibliches Staatsoberhaupt. Die 62-jährige Dilma Rousseff von der Arbeiterpartei PT wird am 01. Januar 2011 den beliebten Amtsinhaber Luiz Inácio Lula da Silva im höchsten Staatsamt beerben. Die ehemalige Ministerin im Präsidialamt erzielte bei der Stichwahl am Sonntag mit 56,05 Prozent der abgegeben gültigen Stimmen einen klaren Sieg, ihr Gegenkandidat José Serra von der sozialdemokratischen Partei PSDB kommt nach Auszählung von 99,99 Prozent aller Stimmen auf 43,95 Prozent.
135,8 Millionen Wahlpflichtige waren erneut aufgerufen, am Sonntag ihr neues Staatsoberhaupt zu bestimmen, nachdem im ersten Wahlgang am 03. Oktober kein Kandidat die absolute Mehrheit erreichen konnte. Vor genau 4 Wochen erhielt die Sozialistin überraschend nur 46,91 Prozent der abgegebenen gültigen Stimmen und verpasste damit die die notwendige absolute Mehrheit klar. Umfragen hatten die Wunschkandidatin des Amtsinhabers zuvor deutlich über 50 Prozent gesehen. Der eher rechts stehende Sozialdemokrat José Serra erzielte mit 32,61 Prozent ein Ergebnis in der Nähe der letzten Prognosen. Deutlich besser als erwartet hatte jedoch die ehemalige Umweltministerin Marina Silva von den Grünen mit 19,33 Prozent der Stimmen abgeschnitten. Ihre Zugewinne von fast 6 Prozent in Bezug auf die Umfragewerte haben laut Analysten den Sieg Rousseffs im ersten Wahlgang vereitelt.
Rousseff hatte im Wahlkampf versprochen, die Politik Lulas fortzuführen und auszubauen. Neben der Förderung des sozialen Wohnungsbaus steht auch die Errichtung von Kindergärten, Vorschulen, technischen Universitäten und Gesundheitsposten ganz oben auf der Liste des Massnahmenplans während ihrer vierjährigen Amtszeit. Zudem will sie zukünftig massiver den Drogenhandel bekämpfen und durch eine verstärkte Sicherung der Grenzen den Schmuggel eindämmen. Auch in Sozialprogramme wie „Bolsa Família“ und Infrastrukturmassnahmen wie der Ausbau des Schienenverkehrs soll in den kommenden Jahren mehr Geld investiert werden.
Die Tochter eines bulgarischen Einwanderers und einer Brasilianerin wurde am 14. Dezember 1947 in Belo Horizonte geboren und wuchs in der gehobenen Mittelklasse auf. Ihr Vater war Anwalt und Unternehmer sowie Mitglied der kommunistischen Partei Bulgariens. Er starb bereits 1962 und hinterließ insgesamt 15 Immobilien. Dilma machte bereits in der Schule durch „subversives Verhalten“ in einer Schülerbewegung gegen die Militärdiktatur auf sich aufmerksam. Später trat sie der Guerillabewegung „Kommando zur nationalen Befreiung“ bei und ging schließlich für mehrere Jahre in den Untergrund. An bewaffneten Aktionen hat sie sich nach eigenen Angaben nie beteiligt.
Anfang der 70er Jahre geriet sie in Haft und wurde dort auch gefoltert. Bei ihrer Freilassung 1972 hatte sie 10 Kilogramm abgenommen und körperliche Beschwerden. Sie zog kurz darauf nach Porto Alegre, wo sie einen anderen politischen Gefangenen regelmäßig besuchte. Da sie aufgrund eines Gesetzes ihr Studium an der Universität von Minas Gerais nicht beenden konnte, ging sie an die Universität von Rio Grande do Sul, wo sie 1977 ihren Abschluss in Wirtschaftswissenschaften machte. Wenig später legte sie den Master an der Universität von Campinas ab.
In den 80er und 90er Jahren machte sie Stück für Stück Karriere. Von einer Mitarbeiterin im lokalen Finanzministerium von Porto Alegre stieg sie zur Finanzministerin des Bundesstaates Rio Grande do Sul auf, bevor Lula da Silva sie nach Brasília holte. Nach seinem Wahlsieg 2002 berief er sie zunächst als Bergbauministerin in sein Kabinett, am 21. Juni 2005 wurde sie seine Kabinettschefin. Seitdem hat er sie stetig als seine Nachfolgerin aufgebaut.
Dilma Rousseff gilt als eiskalte Technokratin, deren Ton in Diskussionen auch manchmal etwas ruppig ausfällt. Erst in den letzten Monaten hat sie versucht, sich mehr als die „Mutter der Nation“ zu zeigen und massiv an ihrem Image gearbeitet. Die beim Volk beliebte und von den politischen Gegnern stets an Lula kritisierte joviale Art fehlt ihr fast vollständig. Ohne die massive Unterstützung des Amtsinhabers, der inzwischen schon offen mit einer neuen Kandidatur in vier Jahren liebäugelt, wäre ihr dieser Wahlsieg mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht gelungen.