In Brasilien werden Bibliotheken und Büchereien in Schulen ab sofort Pflicht. Ein diesbezügliches Gesetz wurde in den vergangenen verabschiedet und am 25. Mai durch die Veröffentlichung im brasilianischen Amtsblatt rechtskräftig. Gesetz 1.244/2010 verpflichtet demnach sämtlich private und öffentliche Schulen im Land, binnen 10 Jahren ein Schulbibliothek einzurichten und mindesten einen Titel (Buch) je registrierten Schüler bereitzuhalten.
Zudem müssen die Schulen dafür Sorge tragen, dass gemäss den Anforderungen der Verleih und die Ausgabe von Büchern beworben wird. Zudem muss die Bibliothek dauerhaft eingerichtet bleiben und kontinuierlich betrieben werden. In dem vom Gesetz vorgeschriebenen Zeitrahmen müssen die entsprechenden Räumlichkeiten und die Möglichkeiten zum Nachschlagen, Nachforschen und Lesen geschaffen werden.
Wie notwendig dieses neue Gesetz wirklich ist, zeigte sich schon kurz nach Veröffentlichung. Brasilianischen Medien berichteten ausführlich über die teilweise desolaten Zustände im eigenen Land. Derzeit fehlen hauptsächlich in der Unterstufe so viele Bibliotheken, dass in der kommenden Dekade faktisch täglich 25 Schulbüchereien eingeweiht werden müssten, um das Gesetz im geforderten Zeitrahmen vollständig umzusetzen.
Die Städte und Gemeinden stehen damit vor immensen Herausforderungen. In den Grundschulen fehlen derzeit knapp 93.600 Bücherräume, 89.700 in öffentlichen und 3.900 in privaten Schulen. Auch in den Vorschulen verfügen nur rund 30 Prozent aller Schulen über eine eigene Bibliothek. Lediglich in der Mittelstufe sieht die Situation besser auf. Nach der letzten Studie des brasilianischen Instituts für Geografie und Statistik IBGE aus dem Jahr 2008 fehlen hier lediglich 3.471 Schulbüchereien.
Luis Noberto vom Komitee „Alle für die Bildung“ hat diese Daten ausgewertet und sieht nun die gesamte Gesellschaft in der Verantwortung. „Das Lei ist eine Direktive, aber es handelt nicht. Wir, die Gesellschaft müsse es dazu bringen, dass es funktioniert. Die Hausaufgaben müssen nicht nur die Verantwortlichen machen, man stelle sich vor, jeder Unternehmer würde ein Archiv für eine Schule stiften, in zwei Jahren wäre das Problem erledigt“ so Noberto. Für ihn fehlt einfach die Weitsicht im Land für die Notwendigkeit von Büchereien. In der ganzen Welt würden die Bibliotheken ständig von Trägern unterstützt, die eine „wahre Freude“ daran hätten, einen Bestand zu stiften.
Die ermittelten Zahlen sehen auch genau hier die grössten Defizite. Wesentlich mehr städtische Schulen beklagen das Fehlen einer Bücherei als staatliche Bildungseinrichtungen. Hier könnten also lokale Unternehmer mit eingebunden werden, einer örtlichen Schule zu einer Bücherei zu verhelfen und somit das Lesen und die dadurch erweiterten Bildungsmöglichkeiten nachhaltig zu fördern. Im vergangenen Jahr wurde das Alter für die Einschulung in Brasilien auf 4 Jahre herabgesetzt, Kinder könnten somit in den beiden Vorschuljahren – und damit weitaus früher als bisher – mit Büchern in Kontakt kommen und ein verstärktes Interesse am Lesen entwickeln.
Ein grosses Problem ist nach Ansicht von Luis Noberto jedoch der Betrieb einer solchen Schulbibliothek. Das Gesetz schreibt vor, dass die Einrichtung von einer ausgebildeten Kraft geleitet werden muss – einem Bibliothekar. Doch davon gibt es gemäss den Zahlen von „Alle für die Bildung“ derzeit lediglich 21.600 im ganzen Land. Brasilien verfügt jedoch derzeit über rund 200.000 allgemeinbildende Schulen.
Foto: Renato Araujo/ABr
Es ist ein in Brasilien fast traditionelles – und für die Allgemeinbildung seiner Bürger wenig schmeichelhaftes Phenomen – dass diese „alles andere lieber tun, als ihre Zeit hinter einem Buch zu verbringen“ – so hat es einmal einer meiner Bekannten auf den Punkt gebracht. Ihre Freizeit verbringen die Menschen hierzulande lieber im Freien, am Strand, beim Flirt auf einem Fest oder mit einer sportlichen Betätigung – Lesen betrachten viele Brasilianer noch als eine Art von Pflichtübung aus vergangenen Schuljahren, denn als Freizeitbeschäftigung oder gar als Genuss derselben. Es ist zweifellos zu begrüssen, dass der Allgemeinbildung von Regierungsseite so unter die Arme gegriffen wird – ob deren Strategie die beabsichtigte Wirkung zeigen wird, bleibt abzuwarten.