Wasserkraftwerk Belo Monte: das ewige Projekt am Rio Xingú

Datum: 28. März 2010
Uhrzeit: 21:03 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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Drei Staudämme, ein Stausee so gross wie der Bodensee, 20.000 umgesiedelte Menschen, 11 Milliarden US-Dollar Kosten: das geplante Wasserkraftwerk Belo Monte in Brasilien ist eines der ehrgeizigsten Projekte der brasilianischen Regierung unter Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva. Und zugleich eines der Umstrittensten. Seit einem Vierteljahrhundert existiert die Idee, den Rio Xingú inmitten des amazonischen Regenwaldes im Bundesstaat Pará im Norden des Landes aufzustauen und für die Energiegewinnung zu nutzen.

Immer wieder wurde das Projekt neu aufgerollt, aber immer wieder verschwand es für Jahre in den Schubladen der Ingenieure und Politiker. Nun steht die Realisierung jedoch kurz bevor, noch für 2010 wird mit dem Baubeginn gerechnet und auch das brasilianische Umweltministerium spielt mit. Menschenrechtler und Umweltaktivisten protestieren daher nun umso lauter, doch aufgehalten werden kann die gigantische Infrastrukturmassnahme wohl nicht mehr. Das brasilien Magazin zeigt den Weg von der Idee vor gut 30 Jahren bis zur überraschenden Ankündigung am 01. Februar 2010 seitens des brasilianischen Umweltministers Carlos Minc, nun endlich grünes Licht für das Megakraftwerk im Amazonas zu geben.

1975

Die brasilianische Regierung erstellt im Rahmen des Projektes zur Entwicklung und Industrialisierung Brasiliens einen Nutzungsplan der Wasserkraft im Amazonasgebiet. Der damals frisch gegründete Energieversorger Eletronorte, eine Untergesellschaft des nationalen Energieversorgers Eletrobrás beginnt mit Studien über die Errichtung von Wasserkraftwerken am Rio Xingú, einem Nebenfluss des Amazonas. Auf der Karte werden vom nationalen Ingenieursrat die geeignetsten Stellen für solche Anlagen vermerkt.

1980

Die abgeschlossene Studie weist sieben Staudämme aus, eine mögliche Energieproduktion wird mit 19.000 MW (Megawatt) angegeben. Dies waren etwa 50 Prozent der Energie, die damals in Brasilien durch Wasserkraft erzeugt wurde. Hierfür hätten jedoch 18.000 Quadratkilometer Land überflutet werden müssen, rund 7.000 Indianer in 12 Territorien wären davon betroffen gewesen. Gemäss den Empfehlungen der Studie treibt Eletronorte die technische Projektierung des Komplexes „Altamira“ am Rio Xingú mit den zwei Kraftwerken „Babaquara“ (6.600 MW) und „Kararaô“ (11.000 MW) voran.

1986

Der „nationale Energieplan 1987/2010“ wird veröffentlicht. Die Errichtung von 165 Wasserkraftwerken, 40 davon im Amazonasbecken, wird bis zum Jahr 2010 angedacht. Dabei soll die Energieproduktion von 43.000 MW auf 160.000 MW erhöht werden. Dem Rio Xingú wird ein besonderer Stellenwert zugesprochen. Hier soll bis zum Ende des Jahrhundert das grösste brasilianische Projekt verwirklicht werden, da das Kraftwerk „Kararaô“ am sinnvollsten in das brasilianische Energienetz integriert werden könnte.

1988

Die Endfassung der Studio wird vom nationalen Amt für Wasser und Elektroenergie genehmigt, der damals verantwortlichen obersten Behörde. Es kommt zu ersten Protesten der im Xingú-Gebiet lebenden indigenen Gruppen, die bemängeln, bei der Ausarbeitung der Studie übergangen worden zu sein. Im November kommt es dann zu einer ersten grösseren und von Medieninteresse begleiteten Anhörung und Diskussion zwischen Vertretern von Eletronorte, Umweltaktivisten und Vertretern der Indianerstämme.

1989

Im Februar wird das „1. Treffen der indigenen Völker des Rio Xingú“ in Altamira in Pará veranstaltet. Initiatoren sind Mitglieder des Indianerstammes Kaiapó. Sie wollen damit gegen die geplante Anlage protestieren und erlangen so internationales Aufsehen. Am Ende sind über 650 Indianer und 300 Umweltaktivisten zugegen und diskutieren mit dem Präsidenten der brasilianischen Umweltbehörde IBAMA, Fernando César Mesquita sowie dem Präsidenten von Eletronorte, José Antônio Muniz Lopes über das Projekt. Bekanntester Teilnehmer ist der britische Musiker Sting.

1990

Nach den nationalen und internationalen Protesten wird das Projekt zunächst auf Eis gelegt. Auch der bislang indianische Name „Kararaô“ der geplanten Anlage wird auf „Belo Monte“ abgeändert. Eine Endfassung der Studie wird jedoch noch eingereicht.

1994

Um die Gegner des Projektes zu überzeugen, wird ein veränderter Plan veröffentlicht. Danach verkleinert sich unter anderem der Stausee von 1.225 Quadratkilometer auf 400 Quadratkilometer. Somit hofft man vor allem ausländische Investoren und Umweltaktivisten zu überzeugen.

1996

Der Energieversorger Eletrobrás erhält die Genehmigung der staatlichen Energiebehörde Aneel, die Studie zur Errichtung des Wasserkraftwerks Belo Monte fortzuführen.

2000

Eletrobrás und Eletronorte vereinbaren, gemeinsam die Studie zur Errichtung des Wasserkraftwerks Belo Monte fertigzustellen. Im von der Regierung dem Kongress vorgelegten Vierjahresplan „Avança Brasil“ wird Belo Monte nicht nur mehr als strategisches Projekt für die Energieversorgung sondern auch als Infrastrukturmassnahme für die Entwicklung des Amazonasbeckens ausgewiesen. Die staatliche Universität von Pará wird verpflichtet, eine Umweltverträglichkeitsstudie anzufertigen.

2001

Das Ministerium für Bergbau und Energie kündigt im April an, über einen Notfallplan insgesamt 30 Milliarden US-Dollar zur Erhöhung der Energieproduktion bereitzustellen. Unter anderem sollen 15 Wasserkraftwerke gebaut werden, darunter auch Belo Monte. Im Mai wird die Erstellung der Umweltverträglichkeitsstudie für Belo Monte unterbunden, da Fragen hinsichtlich der wissenschaftlichen und technischen Gesichtspunkte auftreten. Zudem muss das Projekt von der Umweltbehörde IBAMA und nicht vom Bundesstaat Pará genehmigt werden, da der Rio Xingú ein „Staatsfluss“ ist. Im Juni wird per Dekret verabschiedet, dass der „nationale Umweltrat“ nur noch Projekte mit „geringen Umweltauswirkungen“ entscheiden darf. Ein Bundesgericht bestätigt im September mit einer einstweiligen Verfügung zudem die Einstellung der Umweltstudie.

2002

Im März 2002 wird seitens des nationalen Rates für Energiepolitik eine Arbeitsgruppe gegründet. Vertreter aus dem Präsidialamt, Ministerium für Bergbau und Energie, dem Umwelt-, Finanz-, Planungs- und Haushaltsministerium, der Energieversorger Eletrobrás und Eletronorte, der staatlichen Entwicklungsbank und der Regierung des Bundesstaates Pará sollen dabei einen Plan zur Verwirklichung des Wasserkraftwerks Belo Monte ausarbeiten. Am diesem Zeitpunkt kommt es fast monatlich das ganze Jahr über zu Veranstaltungen und Diskussionsrunden über Grossprojekte im Amazonasgebiet, meist organisiert von Vertretern indigener Völker sowie Sozial- und Umweltaktivisten. Der damalige Präsident Henrique Cardoso wird aufgefordert, sämtliche Bauprojekte im Amazonasbecken einzustellen. Dieser erklärt daraufhin, die Aktivisten wollten den Fortschritt und Entwicklung Brasilien aufhalten. Es gäbe bei allem Respekt für die Umwelt auch viele Notwendigkeiten für das brasilianische Volk zu erfüllen. Gerade das Belo Monte – Projekt sei mehrfach überarbeitet worden, schaffe Arbeitsplätze und könne nun in einem „vernünftigen Rahmen“ umgesetzt werden.

Nachdem es im April bereits zu einer ersten öffentlichen Anhörung kam, die jedoch ausschliesslich mit Befürwortern des Projektes besetzt war, spricht sich der Präsidentschaftskandidat Luiz Inácio Lula da Silva im September gegen grosse Bauprojekte im Amazonasbecken aus, da diese starke Auswirkungen auf die Region hätten und die Folgen nicht absehbar seien.

2003

Bei Eletrobrás wird Luiz Pinguelli Rosa neuer Präsident und erklärt, sein Unternehmen prüfe in Zusammenhang mit dem Projekt die ökonomische und soziale Entwicklung in der Region. Auch über eine Verringerung der Energieproduktion werde nachgedacht. Im Mai bestätigt die Regierung in Brasília die Wiederaufnahme der Umweltverträglichkeitsstudie nach den Vorgaben und Empfehlungen der Umweltbehörde IBAMA und des Umweltministeriums.

2004

Der neue Präsident von Eletrobrás, Luis Pinguelli Rosa, erklärt in einer Pressekonferenz, das Wasserkraftwerk Belo Monte seri ein „nationales Projekt“, welches nun umgesetzt werden soll.

2005

Mit dem Dekret 1.785/05 wird die Errichtung der „Usina Hidrelétrica (UHE) de Belo Monte (PA)“ vom Parlament in Brasília am 06. Juli beschlossen. Anwohner und Betroffene beklagen, im Vorfeld nicht angehört worden zu sein, wie es die brasilianische Verfassung vorschreibe. Demnach dürfen „Wasserressourcen in Indianergebieten nur genutzt werden, wenn der Nationalkongress zustimmt und die betroffenen Gemeinschaften angehört wurden. Eine Woche später beschliesst auch der brasilianische Senat die Errichtung des Kraftwerks.

In der Folgezeit protestieren nationale und internationale Umweltschutzorganisationen gehen die geplante Baumassnahme und reichen Klage gegen die Beschlüsse von Kongress und Senat ein. Eine im August vom Bundesstaatsanwalt eingereichte „Ação Direta de Inconstitucionalidade(Adin)“ wird vom obersten Gerichtshof im Dezember mit 7 zu 4 Stimmen als nicht zulässiges Mittel eingestuft. Obwohl bei der Verabschiedung des Dekretes Unregelmässigkeiten aufgetreten sind, bleibt die Genehmigung zur Errichtung der Anlage zunächst weiter bestehen.

2006

Im März 2006 wird das umweltrechtliche Genehmigungsverfahren per einstweiliger Verfügung ausgesetzt. Zunächst müssten die betroffenen Indianervölker vom Nationalkongress angehört werden.

2007

Ein Jahr nachdem ein Bundesgericht das umweltrechtliche Genehmigungsverfahren ausgesetzt hatte, rudert selbiges zurück und lehnt einen Antrag des Staatsministeriums auf Annullierung der Umweltgenehmigung durch die IBAMA ab. Kritiker sehen in der Entscheidung einen Präzedenzfall, dass der Nationalkongress nun den Bau von Wasserkraftwerken in Indianerschutzgebieten ohne ein spezielles Gesetz genehmigen kann und auch ohne die betroffenen Völker anzuhören. Kurze Zeit darauf wird auch die einstweilige Verfügung durch den obersten Gerichtshof wieder aufgehoben.

2008

Während eines von der Bewegung „Xingu Vivo para Sempre“ [Xingú lebt für immer] organisierten Treffens mit Vertretern betroffener indigener Völker, der Flussanwohner, Sozialbewegungen sowie Wissenschaftlern und Gutachtern kommt es zu einem Zwischenfall. Vertreter indigener Gruppen greifen Mitarbeiter der Eletrobrás an und verletzen Paulo Fernando Rezende, Koordinator für die Bestandsaufnahme des Kraftwerks, im Tumult durch eine Machete am Arm. Nach dem Treffen veröffentlicht die Bewegung eine weitere Stellungnahme über die Gefährdung des Flusses und offeriert einen eigenen Plan für die wirtschaftliche Entwicklung der Region.

Ein Gericht in Brasília hebt eine einstweilige Verfügung auf, die den Konzernen Camargo Corrêa, Norberto Odebrecht und Andrade Gutierrez die Teilnahme an der Umeltverträglichkeitsstudie untersagt hatte. Das Staatsministerium von Pará erhebt gegen das Privileg der Grossunternehmen Einspruch und fordert eine Ausschreibung, um die für die Studie verantwortlichen Personen, Organisationen und Unternehmen festzulegen.

2009

Im Mai stellt „Xingú Vivo para Sempre“ auf einem Treffen in Altamira (Pará) erneut mögliche Auswirkungen des Kraftwerkbaus vor. Zudem wird eine detaillierte Analyse der erwarteten Umweltschäden seitens des Umweltministeriums gefordert. An der Versammlung nehmen jedoch keine Vertreter der indigenen Völker der Region noch der Flussanwohner teil.

Der Minister für Bergbau und Energie, Edison Lobão, kritisiert die Nichtregierungsorganisationen öffentlich. Die ONGs verzögerten den Bau der Kraftwerke, bestraften die Gesellschaft mit höheren Energiekosten, so der Minister. „Xingú Vivo para Sempre“ erwidert darauf mit der Frage, ob die geplanten Ausgaben solche Unternehmungen rechtfertigten, wenn noch nicht einmal eine ordentliche Kosten-Nutzungsrechnung vorliege. Im gleichen Monat weisen Vertreter von Sozialbewegungen und Kirchen, darunter der österreichische Bischof Dom Erwin Kräutler in seiner Funktion als Präsident des Indianermissionsrats der Brasilianischen Bischofskonferenz (CIMI), auf das Versprechen des brasilianischen Präsidenten hin, dass Belo Monte angeblich erst nach eingehender Diskussion beider Seiten genehmigt werden soll. Unabhängig davon wird die Ausschreibung seitens der Regierung noch für 2009 angekündigt.

Im September werden innerhalb von sechs Tagen vier öffentliche Anhörungen über das Kraftwerkprojekt veranstaltet – in Brasil Novo, Vitória do Xingú, Altamira und Belém. Die brasilianische Umweltbehörde IBAMA hatte zuvor mindestens 13 Anhörungen empfohlen, da das Kraftwerk Belo Monte direkt und indirekt 66 Städte und Gemeinden sowie 11 Indianerschutzgebiete betreffe.

Im November kommt der Fall „Belo Monte“ vor die interamerikanische Menschenrechtskommission in Washington (USA). Das Treffen behandelt unter anderem die Auswirkungen grosser Stauseen in Lateinamerika auf die Menschenrechte und die Umwelt. 284 Vertreter von 15 unterschiedlichen Indianervölkern sprechen sich im Indianerdorf Capoto-Jarina im Bundesstaat Mato Grosso gegen das Wasserkraftprojekt Belo Monte aus. Auf weiteren Versammlungen werden weitere Appelle an die Regierung gegen den Kraftwerksbau gerichtet. Am 10. November wird das Genehmigungsverfahren für rund einen Tag gerichtlich ausgesetzt und weitere Anhörungen angeordnet. Am 11. November kann die Umweltbehörde IBAMA jedoch die Arbeit wieder aufnehmen. Allerdings kann ohne eine vorläufige Genehmigung des Behörde die für den 21. Dezember geplante Vergabe der Konzessionen nicht stattfinden. Am 19. November ist Belo Monte dann auch Tagesordnungspunkt in einer öffentlichen Anhörung des brasilianischen Senats. Umweltminister Carlos Minc bekräftigt, dass die Genehmigung erst erteilt werde, wenn alle offenen Fragen geklärt seien.

Im Dezember überreichen Vertreter der Indianervölker Arara, Guarani, Juruna, Kaiapó, Xavante, Xipaia, Xicrin und Yanomami ein Manifest gegen das Megakraftwerk. Der Text handelt von 20 Jahren des Kampfes der indigenen Völker gegen das Projekt Belo Monte und schliesst mit den unheilvollen Worten, dass sich der Rio Xingú in einen „Fluss des Blutes“ verwandeln könnte.

2010

Das Umweltministerium erteilt die umweltrechtliche Baugenehmigung für das Wasserkraftwerk Belo Monte. Die Auswirkungen auf die Umwelt spielen in der im brasilianischen Amtsblatt veröffentlichten Erklärung jedoch eine untergeordnete Rolle. Umweltaktivisten werfen der Politik vor, keine Kenntnis über die tatsächlichen Auswirkungen zu besitzen. Vielmehr hätte politischer Druck seitens des Präsidialamtes für die rasche Genehmigung gesorgt. Es sei absolut unklar, was z.B. mit den Fischen auf einem rund 100 Kilometer langen Teilstück des Rio Xingú zukünftig passiere und wie die Flussanwohner – alles indigene Gemeinschaften – somit an ihre Hauptnahrungsquelle kämen.

Eletrobrás kündigt an, an dem zukünftigen Konsortium, welches die Anlage baut und betreibt, als Teilhaber mitzuwirken. Das Konsortium bzw. neue Unternehmen werde durch die Gewinner der Ausschreibung gegründet, die für den April 2010 geplant ist.

Die bisher eingeplanten Baukosten von 16 Milliarden Reais werden angehoben. Die neue Gesamtsumme der Baumassnahmen inklusive Renaturalisierungsarbeiten und Entschädigungszahlungen darf nicht mehr als 20 Milliarden Reais (derzeit ca. 11,5 Mrd. US$) betragen.

Alle Informationen wurden nach bestem Wissen und Gewissen zusammengetragen. Nachdruck untersagt. Mit Informationen vom Instituto Socioambiental, der IBAMA, des brasilianischen Umweltministeriums und der brasilianischen Regierung. Symbolfoto: Wasserkraftwerk Tucuruí / Eletronorte

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