Brasiliens Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva ist am heutigen Mittwochabend zu einem zweitägigen Staatsbesuch in der Bundesrepublik Deutschland eingetroffen. Gegen 18 Uhr Ortszeit landete er aus der Ukraine kommend, wo er noch kurz zuvor mit der dortigen Premierministerin Yulia Tymoshenko zusammentraf, in Berlin auf dem Flughafen Tegel. Für den Abend sind keine offiziellen Programmpunkte vorgesehen.
Am Donnerstag beginnt der Staatsbesuch mit der offiziellen Begrüssung durch Bundespräsident Horst Köhler. Im Tagesverlauf trifft Lula da Silva mit Bundeskanzlerin Angela Merkel und Vertretern aus der Wirtschaft zusammen. Am Freitag reist die Delegation in Begleitung des deutschen Wirtschaftsministers Rainer Brüderle mit dem ICE nach Hamburg weiter. In der Hansestadt wird Lula zunächst von Ole von Beust empfangen und sich ins goldene Buch der Stadt eintragen. Am Nachmittag endet die Kurzvisite mit einer Rede auf Lateinamerika-Tag 2009.
Mit Lula kommt keinesfalls irgendein Regierungschef eines südamerikanischen Entwicklungslandes nach Deutschland. Zur regionalen Wirtschaftsmacht avanciert und weltpolitisch in die erste Reihe vorgerückt kann Brasilien nun selbstbewusst wie nie zuvor auftreten. Es werden daher Gespräche auf Augenhöhe erwartet, wobei vor allem die deutsche Wirtschaft grosse Hoffnungen in den Besuch setzen wird. Denn es geht um viel Geld. Dies macht auch das ungewöhnliche Transportmittel ICE deutlich, denn wenn der Staatspräsident höchst persönlich den „deutschen trem-bala“ begutachten will, bekommen die Wirtschaftsbosse von Siemens und Co. feuchte Finger. Über 13 Milliarden Euro will Brasilien in eine bis zur WM 2014 fertiggestellten Hochgeschwindigkeitszug zwischen den Metropolen Rio de Janeiro und São Paulo investieren und neben grosser internationaler Konkurrenz ist auch ein deutsches Konsortium an dem Auftrag interessiert.
Bundeskanzlerin Merkel war letztmalig im Mai 2008 in Brasilien. Bei ihrem Besuch der leisen Töne lobte sie damals den wichtigen Wirtschaftspartner und hielt sich zum Ärger vieler Umweltschützer mit Kritik an der Abholzung in Amazonien stark zurück. Nun dürfte es nicht anders aussehen, hat sich doch in Brasilien zwischenzeitlich nochmals einiges verbessert. Die neu zerstörten Flächen sind stark zurückgegangen, neue Ölfunde, die Immunität gegen die Finanzkrise und ein deutlich wachsende Wirtschaft weisen Brasilien den Weg in eine glänzende Zukunft. Hinzu kommt die internationale Popularität durch die Vergabe der Weltmeisterschaft 2014 und die Olympischen Spiele 2016 in Rio de Janeiro.
Grund genug für die deutsche Regierung, offen um Aufträge im grössten Land Südamerikas zu buhlen. In Brasilien sind laut dem „Handelsblatt“ mehr als 1.200 deutsche Unternehmen aktiv und mit 18 Milliarden Euro war das Land im vergangenen Jahr Deutschlands wichtigster Handelspartner in Lateinamerika. Unternehmen wie Thyssen-Krupp investieren schon seit Jahren Milliarden in das rohstoffreiche Land und auch der VW-Konzern will kräftig in die Ausweitung und Verbesserung der Produktionsstandorte investieren.
Thema der Gespräche zwischen beiden Regierungschefs dürfte natürlich auch der kommende Weltklimagipfel sein. Brasilien hat nicht nur gezeigt, dass die Umweltzerstörung einzudämmen ist, nun will das Land auch Vorreiter bei der Reduzierung der Treibhausgase sein. Um fast 40 Prozent gegenüber 1980 will Brasilien in den kommenden Jahren den CO2-Ausstoss reduzieren, fast doppelt soviel, wie vielen europäischen Industrienationen, darunter Deutschland, vorschwebt. Auch hier kommt Lula also mit konkreten Vorschlägen und Forderungen und keinesfalls als Bittsteller eines rückständigen Landes.
Letztendlich werden es aber doch versöhnliche und harmonische Gespräche mit „unter guten Freunden“ werden, wie Lula sein Verhältnis zu Merkel vor kurzem beschrieb. Die jedoch konkrete Handlungen zur Folge haben könnten. Denn eines sollte die wiedergewählte Kanzlerin stets im Hinterkopf behalten: auf einer Konferenz in Manaus zur Vorbereitung des Klimagipfels zeigte sich der charismatische Staatschef nämlich extrem überzeugt: „In Brasilien reden wir weniger und tun mehr!“