Kommentar: Brasiliens langer Weg ins Zentrum der Macht

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Datum: 25. September 2009
Uhrzeit: 18:18 Uhr
Leserecho: 1 Kommentar
Autor: Dietmar Lang
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[ein Kommentar von Dietmar Lang]

Brasilien fordert beim G20-Gipfel in Pittsburgh mehr Einfluss – und bekommt ihn! Dies vermitteln zumindest die Reaktionen der grossen Industrienationen, die nicht länger über die Schwellenländer hinwegsehen können. Während die übrigen BRIC-Staaten ihr Dasein eher im Hintergrund fristen, steht Brasilien in vorderster Front. China erteilt man weiterhin Demokratieunterricht, Russland wird immer noch mit einer gesunden Portion Skepsis beobachtet und mit Indien hat man nun wirklich nicht viel gemein, da kommt der neue Partner aus Südamerika gerade recht.

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Bilder gehen heute um die Welt, die dies zudem verdeutlichen. Aber vieles hängt von Staatspräsident Luiz Inácio Lula da Silva ab, dem ehemaligen Gewerkschafter, der es bis ins Zentrum internationaler Politik geschafft hat. Arm in Arm mit US-Präsident Barack Obama scherzt er mit Bundeskanzlerin Merkel, reicht ihr in Freundschaft beide Hände und weiss dabei, das Brasilien noch einen langen Weg vor sich hat.

Er war es, der mit unzähligen Auslandsreisen Brasilien ins Licht der Weltöffentlichkeit gerückt hat, der mit seiner teils unorthodoxen Politik des sozialistischen Kapitalismus zum Hauptverhandlungsführer der Doha-Runde avancierte und nun für fast 100 Entwicklungsländer von mehreren Kontinenten Forderungen artikuliert, die nicht mehr überhört werden können.

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Aber ist Brasilien mittlerweile ein gleichberechtigter Partner? Wohl kaum, und doch hat Lula ein Mitbestimmungsrecht und einen Einfluss erkämpft, welches Brasilien zuvor niemals hatte. Und sehr schnell wieder verlieren kann. Denn viel hängt von der wirtschaftlichen Stabilität der Regionalmacht in Südamerika ab. Viel hängt auch davon ab, inwieweit Brasilien ganz Lateinamerika lenken kann. Und viel hängt vom Präsidenten selbst ab. Im kommenden Jahr geht die zweite Amtszeit des Lula da Silva zu Ende, eine Wiederwahl ist erst einmal nicht möglich.

Nun muss er dafür sorgen, dass sein Land „der Ordnung und des Fortschritts“ den gewonnenen Bonus nicht leichtfertig verspielt. Neue Ölfunde oder ein besserer Schutz im Amazonas dürften dabei nicht viel helfen. Aber vielleicht eine friedliche Lösung in der Honduras-Krise, blickt doch die ganze Welt derzeit auf die brasilianische Botschaft in Tegucigalpa. Doch am Ende fällt alles auf einen Mann zurück. Es ist der charismatische Arbeiter, der die Herzen und das Vertrauen der westlichen Mächte gewonnen hat. So etwas dürfte nur sehr schwer zu ersetzen sein.

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Brasilien hat also einen sehr langen Weg vor sich – oder nur noch einen sehr kurzen!

Alle Fotos: Ricardo Stuckert / PR

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  1. 1
    AW

    Wo ist hier eigentlich der Anspruch der Menschen, der Öffentlichkeit, der Presse, die selbst ernannten Machthaber des 21. Jahrhunderts daran zu messen, ob und inwieweit sie Wirtschaft und soziale Verantwortung gleichermaßen vereinbart haben? Oder sind Wertesysteme wie freiheitlich demokratische Grundordnung bzw. ein ausreichender Demokratisierungsgrad etc. schon längst zum Kulturdenkmal geworden? Allein Brasilien wird wegen Meschenrechtsverletzungen, hoher Korruptionsrate, mangelnder Unabhängigkeit der Justiz sowie unhaltbarer Zustände in der untersten Bevölkerungsschicht zu Recht angeprangert. Daneben zeichnet sich Brasilien durch eines der schlechtesten Bildungssysteme der Welt, einer hohen Analphabetenquote und der damit zusammenhängenden ständigen Notwendigkeit der Fremdhilfe wie z.B. von Entwicklungs-Institutionen oder -Projekten, sowie eklatanten Gefällen in der Gesellschaftsstruktur und damit einhergehender krimineller Energie aus. So leben immer noch knapp 30 Prozent aller Menschen in Armut, die Tendenz ist zwar fallend; allerdings sollte hier nicht vergessen werden, dass diese Armut eine andere ist, als wie wir sie von Europa kennen. So zum Beispiel die zahlreichen Favelas betreffend, welche sich durch Brasiliens Städte ziehen und das Bild der „Propagandamanager der weltweit führenden Industrienation“ wohl derart beeinträchtigen, dass diese von armen Menschen illegal besetzten Gebiete oftmals schlicht mit dem Bagger dem Erdboden gleich gemacht wurden. In denjenigen Armengebieten, die diesem Schicksal entkommen konnten, herrschen nahezu anomische Zustände durch Banden, Drogen- oder Zuhälterkriege, in denen korrupte Staatsdiener ohne jegliche Strafverfolgung mitmischen. Kinderprostitution sowie der landesinnere oder weltweite Organhandel, bei dem arme Menschen als Ersatzteillager für die reicheren Schichten dienen, zeichnet diesen G20-Teilnehmer ebenfalls aus.
    Ich frage mich allen Ernstes, wie sowohl die Konstituierung als auch die Legitimierung der G20 bzw. einzelner Teilnehmer zu rechtfertigen oder auch zu werten ist, wenn jegliche demokratische Grundlagen oder auch Rahmenbedingungen, wie z.B. hoher Demokratisierungsgrad, vergleichsweise wenig Konrruption bzw. stabilie innere Verhältnisse, soziale Sicherheit oder auch innere Sicherheit zählen. Mit dem Einläuten der G20 als nichtgewählte Weltmarktführerschaft sind wir auf dem besten Weg, uns komplett der Gesetzlosigkeit des freien Marktes auszuliefern.

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