Letzter Auftritt in weissen Trikots

Datum: 11. Mai 2006
Uhrzeit: 01:23 Uhr
Ressorts: Sport
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Autor: Dietmar Lang
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Aus dem Archiv. Einen Artikel, den ich im Januar im Netz gefunden habe. Brasiliens Tragödie vor 56 Jahren. Die Weltmeisterschaft im eigenen Land. Das grösste Stadium der Welt. Und am Ende eine durchaus lösbare Aufgabe für die Seleção. Doch es sollte nicht sein. Lest nun selbst, wie Brasilien mit seinen Niederlagen umgeht. Und dies Jahrzehnte lang.

Fünf Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges mit seinen mehr als 50 Millionen Toten war die Welt ein anderer Ort geworden: Auschwitz wurde zur Metapher der nationalsozialistischen Vernichtungslager, Hiroshima brachte die Angst vor einem Atomkrieg zum Ausdruck. Die Welt befand sich in einem kalten und in Korea sogar in einem heißen Krieg.

Trotzdem redete man von einem Neubeginn – auch bei der FIFA. Der Weltpokal hatte die Kriegsjahre der Legende nach unter dem Bett des Präsidenten Jules Rimet verbracht und bereits 1946 bekam Brasilien, dass von den Kriegswirren relativ unbehelligt geblieben ist, den Zuschlag, die nächste WM auszurichten. Sofort begann man am Zuckerhut mit dem Bau des größten Stadions der Welt: Maracanã. Der Bau der Riesenarena wurde weltweit zu einem Symbol des Aufbruchs und ein kollektiver Fußballtaumel der Brasilianer trug die Vorbereitungen als auch das Turnier selbst. Auch diesmal war es noch kein wirkliches Weltturnier: Deutschland galt aufgrund des Krieges als international ?geächtet?, Fußballnationen aus Afrika oder Asien, aber auch Argentinien, Österreich und alle Länder des ?Ostblocks? stellten sich aus politischen Gründen nicht zur Qualifikation. Geschockt durch eine Tragödie war der amtierende Weltmeister Italien: Am 4. Mai 1949 kam die Mannschaft des AC Turin, als ?Il Grande Torino? mit zehn Nationalspielern die überragende Elf des Kontinents, bei einem Flugzeugunglück ums Leben.

Nach dem Ausscheiden Englands setzten sich in der Finalrunde, die im Gruppenspielmodus durchgeführt wurde, die favorisierten Südamerikaner Uruguay und Brasilien gegen die beiden verbliebenen europäischen Vertreter Schweden und Spanien durch. Vor allem die Seleção zauberte und spielte mit einer wahren Torflut die Gegner an die Wand: Zizinho führte überragend Regie, Ademir, mit acht Treffern Torschützenkönig der WM, netzte elegant ein. Das letzte Gruppenspiel Brasilien ? Uruguay wurde so faktisch zum Endspiel. Den Gastgebern reichte allerdings schon ein Unentschieden zum Titel.

Erwartungsfroh strömten die Massen ins Stadion, das vollkommen überfüllt war. Grenzloser Optimismus vor dem Spiel und eine überbordende Euphorie nach dem brasilianischen Führungstreffer zu Beginn der 2. Halbzeit. Aber dann kam, was als ?destino cruel da seleção do Brasil? in die Geschichtsbücher eingehen sollte. Zwei Tore Uruguays drehten das Spiel. Die Brasilianer waren in einem regelrechten Schockzustand, der erst durch den Schlusspfiff von tiefer Trauer und einer nationalen Depression abgelöst wurde. ?Das gesamte Stadion war still. Ich schaute herum und alles, was ich sah, war, wie erwachsene Männer weinten. Niemand traute sich, einander anzusehen. Mir war zum Weinen und ich fühlte mich verstört. Ich wusste nicht, dass irgendetwas solches Leid verursachen könnte. Ich erinnere mich nicht an die Namen der Spieler, noch daran wann die Tore gefallen sind. Was wirklich in meinem Gedächtnis bleibt, ist das intensive Gefühl und die Verzweiflung, die mich an diesem Tag umgab?, erinnert sich eine Zeitzeugin, die dem Spiel als Kind beiwohnte.

In Brasilien ist das Trauma von Maracanã bis heute nicht vergessen. Nie mehr trat die Seleção in weißen Trikots an und als der unglückliche Torwart Barbosa, dem der zweite Treffer angekreidet wurde, 1993 seine Nationalmannschaft im Trainingslager besuchen wollte, wurde ihm der Eintritt zum Gelände verwehrt ? aus Angst, er könne Pech bringen. ?Die Höchststrafe in Brasilien beträgt dreißig Jahre. Meine Bestrafung aber beträgt wohl fünfzig Jahre?, seufzte er resigniert kurz vor seinem Tod im April 2000.

(Artikel gefunden bei http://www.reviersport.de)

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