Die vollständige Rekonstruktion des Verbrechens im Fall des ermordeten Trierer Bistumspriesters Wolfgang Johannes Hermann im nordbrasilianischen Belém ist noch immer nicht abgeschlossen. Laut einem Polizeisprecher liegt zwar inzwischen ein Geständnis des Täters vor, die Details sind jedoch noch immer nicht geklärt. Bei jeder Befragung tauchen Widersprüchlichkeiten und neue Varianten des Tatherganges auf.
Der 46-jährige Hermann wurde am Abend des 11. April erstochen in seiner Wohnung aufgefunden. Kurz darauf wurde der 18-jährige Kássio Adriano de Jesus Figueiredo nach einem misslungenen Fluchtversuch verhaftet. Kássio wies Schnittwunden an Händen und Unterarmen auf. In ersten Vernehmungen gab der Täter an, in Notwehr gehandelt zu haben. Der Priester habe ihn zuerst sexuell belästigt und dann angegriffen. Zudem sorgte die Aussage des Täters, dass der selbst ein Strichjunge sei, weltweit in den Medien für Aufregung.
Kássio ist kein unbeschriebenes Blatt bei den Behörden. So soll er im vergangenen Jahr einen Polizisten ermordet haben. Ein Zeuge der damaligen Tat bestätigte dies inzwischen gegenüber der Polizei. Damals hätte er geschwiegen, da er mit dem Täter ein homosexuelles Verhältnis hatte.
Zwischenzeitlich hat der 18-jährige nach Polizeiangaben zugegeben, sich die Wunden an den Händen selbst zugefügt zu haben. Der Täter versicherte zudem, dass der Priester zu keinem Zeitpunkt das Messer angefasst hat. Die Ermittler sind daher davon überzeugt, dass Kássio sich das Messer in der Wohnung selbst gesucht hat. Die Entscheidung, den Priester zu ermorden, habe der Täter in dem Moment getroffen, als er die Wohnung verlassen wollte, der Geistliche jedoch weiter mit ihm am Laptop arbeiten wollte. Die Wohnungstür war zu diesem Zeitpunkt angeblich abgeschlossen.
Ob der Täter mit dem Messer eine Herausgabe des Schlüssels erzwingen wollte, ist noch unklar. Kássio behauptete zuerst, die Schlüssel wären in einer Seitentasche der Kleidung des Priesters gewesen. Gestern sagte er jedoch aus, sie hätten sich neben dem Computer auf dem Schreibtisch befunden. Die gerichtsmedizinische Untersuchung hat zudem ergeben, dass Hermann mit 13 Messerstichen getötet wurde. Der Täter behauptete jedoch bislang, nur vier oder fünfmal zugestochen zu haben.
Alle Ermittlungsergebnisse sprechen trotz vieler ungeklärter Detailfragen dafür, dass der Priester, der in Belém hauptsächlich benachteiligte Jugendliche unterrichtete, seinen Mörder in die Wohnung eingeladen hat. Anscheinend haben sich Täter und Opfer am Tag zuvor in einem Einkaufscenter kennen gelernt. Vermutlich wollte der Priester, der von Angehörigen, Freunden und Nachbarn als überaus hilfsbereit und grossherzig beschrieben wird, dem jungen Mann helfen, eine Arbeitstelle zu finden.