Immobilienboom in befriedeten Favelas vertreibt ursprüngliche Bewohner

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Datum: 26. September 2010
Uhrzeit: 13:11 Uhr
Ressorts: Panorama
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Autor: Dietmar Lang
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Jahrelang haben die Bewohner der Favela Dona Marta in Rio de Janeiro in Brasilien den Widrigkeiten getrotzt. Sie haben trotz allen Bandenkriegen, korrupten Polizisten, fehlender Infrastruktur und den kaum vorhandenen Versorgungseinrichtungen in ihren teilweise ärmlichen Behausungen ausgeharrt. Seit rund 18 Monaten ist nun Ruhe eingekehrt, das Leben hat sich durch die omnipräsente „Friedenstruppe der Polizei“ UPP normalisiert. Nun droht die Gefahr, dass die Bewohner erneut in Favelas umziehen, in der das Leben so unsicher sein wird, wie zuvor.

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Grund ist der Bauboom in den nun urbanisierten Vierteln. In den vergangenen Monaten haben sich die Immobilienpreise verdoppelt, Strom- und Wasserzähler wurden installiert, WIFI-Netze und Kabelfernsehen gibt es jetzt ganz offiziell und legal. Die UPP mit ihrer 123 Mann starken Einheit musste seit Ewigkeiten keinen Schuss mehr abgeben und überwacht nunmehr fast ausschliesslich die tägliche Anlieferung von unzähligem Baumaterial und steht den Bewohnern sprichwörtlich als „Freund und Helfer“ zur Seite.

Wer ein Haus mit Appartements hat, der kann durch die angezogenen Mietpreise nun das Einkommen gehörig aufbessern. Wer jedoch zur Miete lebt, dem geht es finanziell erheblich schlechter. „Früher haben sie 200 R$ bezahlt, heute ist es das doppelte. Früher war Strom und Wasser kostenlos, nun sind überall Zähler installiert“ so Pricilla de Oliveira von der UPP. MC Fiel, Moderator eines lokalen Radiosender, sieht ebenfalls grosse Gefahren in der Preissteigerung. „Ein Mindestlohn reicht jetzt gerade für Mittag- und Abendessen und für die Miete. Aber was ist mit Frühstück, Medikamenten, Licht und Wasser?“ beklagt er. Seiner Aussage nach müssten die Bewohner „zaubern, um mit den neuen Kosten überleben zu können“.

Die Spekulation mit dem extrem eingeschränkten Wohnraum nimmt besonders an den Hügeln im Süden der Millionenmetropole immer drastischere Formen an. In den befriedeten Vierteln leben auch ständig mehr Ausländer oder Mitglieder der Mittelschicht, noch ist Wohnraum dort weitaus günstiger als beispielsweise in den Vorzeigevierteln Botafogo oder Copacabana. Aber für die Menschen, die dort seit Jahren mit ihrem kargen Einkommen ausharrten, wird der Druck von Monat zu Monat größer.

Die Regierung des Bundesstaates und die Stadtverwaltung der Tourismusmetropole unter dem Zuckerhut wollen daher schnellstmöglich die UPP massiv aufstocken und in vielen weiteren Favelas stationieren. Denn je mehr befriedeten Wohnraum es gibt, desto mehr verlieren die jetzigen ruhigen Viertel wieder an „Exklusivität“. Und damit dürften die Bodenpreise und Mieten auch wieder fallen. Die Rückkehr der Bewohner in alte Strukturen könnte so dann doch noch abgewendet werden.

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