Leider muss ich aus aktuellem Anlass abermals über die Welle der Gewalt im Bundesstaat São Paulo berichten.
In den vergangenen Tagen wurden bei mehr als 100 Anschlägen mehr als 10 Menschen getötet, viele Geschäfte und Polizeistationen wurden verwüstet. Weiterhin wurden über 50 Busse zerstört, die meisten sind völlig ausgebrannt. Die Täter, die dem „ersten Hauptstadtkommando“ PCC zugeordnet werden, nutzen vollautomatische Waffen, Molotow-Cocktails und Rohrbomben für ihre Attentate. Die Nachrichten sprechen inzwischen laut von „guerra urbana“, dem „Krieg in der Stadt“.
Natürlich breitet sich in den betroffenen Gebieten unter der Bevölkerung Chaos aus. Viele erinnern sich mit Schrecken an die Vorfälle vor etwa einem Monat, wo im Zuge der Anschläge knapp 30 Menschen ums Leben kamen. Die Polizei führte daraufhin Vergeltungsschläge aus, bei denen weitere 170 Personen getötet wurden. Menschenrechtsorganisationen sprechen in dem Zusammenhang von „einer Racheaktion der Behörden und gezielter Hinrichtung teilweise unschuldiger Personen“.
Die Mehrheit der brasilianischen Bevölkerung verteidigt jedoch die Aktionen von Polizei und Militär. Dies ergaben auch schon vor längerem die Umfragen bei den Militäreinsätzen gegen die Drogenmafia in den Favelas von Rio de Janeiro. Da im Zuge der neuesten Gewaltwelle nun auch Privatwohnungen von Polizisten angegriffen wurden, und diese sich derzeit „wie Tiere gejagt“ sehen, ist mit einem neuerlichen selbstverständlich inoffiziellen Rachefeldzug zu rechnen.
Staatspräsident Lula da Silva sieht die Lage in dem betroffenen Bundesstaat São Paulo als „ausser Kontrolle“ an. Teilweise kam das Bankwesen und der öffentliche Personennahverkehr zum erliegen, viele Geschäfte blieben geschlossen. Der Gouverneur von São Paulo, Cláudio Lembo, lehnt jedoch weiterhin Hilfe durch die Bundespolizei oder das Militär ab.
Obwohl auch in den Gefängnissen die Gefahr von neuerlichen Revolten droht. Man befürchtet dabei, die Aufseher könnten bei der kleinsten Gelegenheit überreagieren. 15 ihrer Kollegen wurden in den vergangenen Wochen im Dienst von Häftlingen ermordet. Die brasilianische Regierung hat nun 200 Millionen R$ (etwa 72 Millionen Euro) zur verbesserten Ausstattung der Gefängnisse freigegeben, die Hälfte davon soll in den Bundesstaat São Paulo fliessen. Unter anderem sollen davon 20.000 Pistolen gekauft werden, mit denen die Aufseher ausgerüstet werden sollen.
Kontrolliert werden die Revolten in den Gefängnissen und auf den Strassen nämlich meist direkt aus den Gefängnissen heraus. Dort sitzt der grösste Teil der Anführer der PCC in Haft. Diese wollen mit ihren Aktionen die Staatsmacht dazu zwingen, keine weiteren Häftlinge – wobei sie oftmals selbst betroffen wären – aus den normalen Gefängnisse in Hochsicherheitshaftanstalten zu verlegen, bzw. bereits erfolgte Überführungen rückgängig zu machen. Die Bosse der kriminellen Vereinigung mit Mafiastruktur verfügen auch in Haft über Handys, mit denen sie ihre Anweisungen in alle Teile des Landes verstreuen. Und die Politik lenkt anscheinend schon ein. Cláudio Lembo erklärte gestern gegenüber den Medien, dass die geplanten Verlegungen praktisch nicht durchzuführen seien.