Faultier-Blues

Datum: 13. Februar 2006
Uhrzeit: 14:13 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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Diesen interessanten Artikel habe ich soeben in der Frankfurter Rundschau entdeckt.

Faultier-Blues

Eukalyptus-Plantagen bedrohen in Brasilien den Lebensraum der bedächtigen Tiere
VON WOLFGANG KUNATH (ITABUNA)

Die Grillen konzertieren, und den Himmel sieht man vor lauter Bäumen nicht: Es könnte mitten im Urwald sein, wo Vera Lúcia de Oliveira arbeitet. Aber ihr kleines Büro gehört zu einer staatlichen Forschungsanstalt, die früher den Kakao-Anbau optimieren sollte. Seit den Achtzigern, als eine Pilzerkrankung die Kakao-Monokultur in der Gegend zerstörte, befasst sich das Institut stärker mit den Folgen der Umweltbelastung. Die sind oft tödlich – Vera hat Belege dafür im Büro herumliegen: Die Felle von Faultieren, die ihr verstört, verwundet, verstümmelt gebracht wurden und trotz Pflege verendeten.

Ein paar Schritte tiefer im Wald steht das Gehege, in dem sich die Faultiere erholen können. Mit dem Kopf nach unten hängt rund ein Dutzend von ihnen, an Äste und Lianen gekrallt, in den Höhen des Zwingers, und dass Menschen hereinkommen, lässt sie offenbar gleichgültig. Im Zeitlupentempo drehen sie den Kopf, wenn Vera auf die Leiter steigt, und sie lassen es über sich ergehen, dass sie auf den Arm genommen werden. Ein Mondgesicht mit einer flachen Nase und eher ausdruckslosen Augen, grünlichbraunes Fell, ein kleiner Körper, muskulöse Arme und Beine, die in jeweils drei scharfen, gebogenen Hornkrallen enden – Faultiere sind nicht gerade das, was der Mensch süß oder putzig findet.

„Man redet immer von Soja und von der Viehzucht, wenn von der Zerstörung des Urwalds die Rede ist“, klagt Vera grimmig, „aber vom Eukalyptus spricht niemand“. Die Plantagen des Baums, aus dem Zellulose, also vor allem Papier, gemacht wird, breiten sich im Süden des Bundesstaates Bahia gewaltig aus. Zellulose ist Big Business in Brasilien. Letztes Jahr wurde hier die größte Zellstofffabrik der Welt gebaut, eine 1,2-Milliarden-Dollar-Investition. Die Firma Veracel, halb brasilianisch, halb skandinavisch, bestellt im Süden Bahias 164 000 Hektar – eine Monotonie an Eukalyptus-Grün.

„Das Faultier ist ein Indikator für die Waldabholzung“, sagt die Biologin. Überall dort, wo die verletzten Tiere gefunden werden, rücken die Eukalyptus-Plantagen vor. Der natürliche Lebensraum des Kragenfaultiers – es zählt zu den bedrohten Tierarten, im Gegensatz zum weiter verbreiteten Braunkehl-Faultier – ist der Regenwaldstreifen an Brasiliens Küste, die so genannte Mata Atlântica – oder besser gesagt, die kümmerlichen Reste, die noch davon übrig sind.

Sie brauchen bloß Bäume: In deren Wipfeln leben sie, von deren Wipfeln leben sie. Wasser trinken sie nicht, sie decken ihren Flüssigkeitsbedarf aus den Blättern. Sie steigen alle acht bis zehn Tage von den Bäumen, um Blase und Darm zu entleeren – danach klettern sie genauso langsam wieder hoch, wie sie herunter geklettert sind. Und wie kamen sie früher mit dem Kakao zurecht – ebenfalls eine Monokultur? „Das ging gut“, sagt Vera, „Kakao braucht Schattenbäume. In deren Kronen waren sie heimisch“.

Veracel beteuert, ökologisch korrekt vorzugehen. Nur auf der Hälfte der Fläche wachse der Zellulose-Baum, die andere Hälfte ruhe oder sei geschützt, und Mata Atlântica holze man überhaupt nicht ab, teilt Veracel mit. Brasiliens Naturschutzbehörde sieht das allerdings anders. Im Dezember verhängte sie 120 000 Euro Geldbuße, weil Veracel „die natürliche Regenerierung des Waldes verhindert oder erschwert“.

Es ist nicht nur der Fortschritt, unter dem die Kragenfaultiere leiden. Veras Pflegefälle sind oft verletzt – Opfer brutaler Aggression. „Manche kommen mit gebrochenen Armen, viele haben Messer- oder Machete-Hiebe erhalten.“, sagt sie. Warum diese Gemeinheiten? Vera kann es sich auch nicht erklären. Aber fest steht, dass Bradypus Torquatus in den Augen der Menschen nie ein Sympathieträger war. „Armselige Baumsklaven“ und „verkümmerte Wesen“ nennt sie schon „Brehm’s Thierleben“ von 1864. Was jedoch als Trägheit und Faulheit erscheint, ist die ideale Anpassung an karge Lebensbedingungen: Ihrer Langsamkeit entspricht die niedrige Stoffwechselrate. Das Verharren im Blätterwerk schützt sie gegen Jaguar und Schlange. Und warum stellen sie ihre Welt auf den Kopf? Das, sagt Vera , weiß man nicht. Was sie an ihren Lieblingen am meisten fasziniert? „Dass unter ihnen kein Wettbewerb besteht“, antwortet sie, „es ist immer so, als herrschte bei ihnen Harmonie“.

Quelle: http://www.fr-aktuell.de/ressorts/nachrichten_und_politik/rundschau/?cnt=804213

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