Anhaltende Gewalt: Brasiliens „schwarzer Block“ ohne Rückhalt in Bevölkerung

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Datum: 27. Oktober 2013
Uhrzeit: 12:55 Uhr
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Autor: Dietmar Lang
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Er bezeichnet sich selbst als „Schutzschild gegen polizeiliche Gewalt“ bei den anhaltenden Demonstrationen in Brasilien, das bisschen Sympathie in der Bevölkerung hat er jedoch längst verspielt: der „Schwarze Block“! Immer häufiger kann man auf brasilianischen Straßen zusehen, wie ein paar vermummte Randalierer und Anarchisten der generell mit brutaler Härte vorgehenden Polizei die Grundlage für unerbittliches Eingreifen liefern. Darunter leiden dann regelmäßig dann tausende friedliche Demonstranten, unbeteiligte Anwohner und die Proteste dokumentierenden Medienvertreter.

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Ob Lehrer für mehr Gehalt, Taxifahrer für mehr Sicherheit, Studenten für freien ÖPNV oder ganz normale Bürger für ein besseres Gesundheitssystem auf die Straße gehen, die zunächst friedlich beginnenden Proteste schlagen mit schöner Regelmäßigkeit in Gewalt um. Zündstoff liefert in der Regel das Aufeinandertreffen des „Black Bloc“ mit den bis an die Zähne bewaffneten Sicherheitskräften. Auch wenn durchaus vermutet werden darf, dass alleine die Präsenz der mutmaßlichen Gewalttäter an vorderster Front das Eingreifen der Spezialeinheiten provoziert oder als Auslöser für Provokationen von in Menge verborgenen Zivilbeamten dienen mag, im Endeffekt fliegen erneut Tränengasgranaten und Gummigeschosse durch die lauen brasilianischen Nächte.

Die politisch und gesellschaftlich interessierte Bevölkerung in Brasilien fürchtet aufgrund der Gewalteskapaden immer häufiger um Leib und Leben, bleibt den Demonstrationen daher auch immer öfter fern und bietet so den „schwarzen Blocks“ ungewollt noch mehr Raum. Und die mit dem Terminus „Deeskalation“ nicht vertrauten Einsatzkräfte, die ansonsten Jagd auf Drogenbanden in den Favelas machen, können ihr jahrelanges Training damit endlich auch einmal in den nobleren Vierteln von Rio de Janeiro oder São Paulo anwenden. Nicht wenige Beobachter haben in den vergangenen Monaten von einer regelrechten „Menschenjagd“ gesprochen.

Ausschreitungen zerstören nicht nur die Legitimität der Proteste, sie behindern auch die geforderten Veränderungen. Kein Wunder, dass rund 95 Prozent der Bevölkerung daher auch die Gewalteskapaden verurteilen, bei der neben Menschen auch zunehmend Banken, Geschäfte, Autos und öffentliche Gebäude schweren Schaden nehmen. Laut einer am 25. Oktober durchführten Umfrage unter 690 Personen in São Paulo unterstützen derzeit gerade einmal 11 Prozent der 16- bis 24-jährigen den „schwarzen Block“. Bei der Altersgruppe 25 bis 34 Jahre sind es 7 Prozent, bei den Befragten ab 35 Jahren nur noch magere 2 bis 3 Prozent.

Die größte Zustimmung mit 10 Prozent ist dabei in der Mittelschicht zu finden. Bei einem Familieneinkommen von bis zu zwei Mindestlöhnen – ein „Salário Minimo“ entspricht derzeit etwa 220 Euro – lehnen 96 Prozent die Gewalt ab, zwischen drei und fünf sowie über zehn Mindestlöhnen sind es 95 respektive 94 Prozent. Nur in der Einkommensklasse zwischen sechs und zehn Mindestlöhnen liegt die Ablehnung mit 89 Prozent deutlich darunter und damit im Umkehrschluss die Zustimmung höher.

Waren Ende Juni während des FIFA Konföderationenpokals noch 89 Prozent mit den Demonstrationen in Brasiliens Wirtschaftszentrum einverstanden und nur 8 Prozent dagegen, so sank diese Zahl bei einer Umfrage am 11. September auf 74 Prozent Pro und 21 Prozent Contra. Bei der neuesten Erhebung ist die Zahl der Befürworter abermals auf nunmehr 66 Prozent gesunken. 31 Prozent und damit faktisch jeder Dritte lehnt inzwischen die Proteste generell ab.

Die Werte bezüglich der Meinung über die Gewaltausbrüche bei den Demonstrationen ist seit der WM-Generalprobe vor gut vier Monaten allerdings nahezu identisch geblieben. 78 Prozent der Befragten empfanden am 13. Juni und 11. September die Proteste „gewalttätiger als notwendig“, bei der jüngsten Erhebung waren es 76 Prozent. „Genau die richtige Menge an Gewalt“ sahen dabei 14 Prozent (11. September) bzw. 15 Prozent (13. Juni und 25. Oktober). „Friedlicher als nötig“ empfanden es hingegen bei der ersten Befragung 4 Prozent, im September 7 Prozent und nun 6 Prozent.

Die in der renommierten Tageszeitung Folha S. Paulo veröffentlichten Umfrageergebnisse wurden von dem hausinternen Meinungsforschungsinstitut Datafolha durchgeführt. Die Fehlermarge liegt bei plus/minus vier Prozent.

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